Fußgängerschutz (Idee)

Diskussionen zur Technik der Straßenbahn
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Wilson
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Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Wilson »

Hallo Forum,
ich bin neu hier und mich beschäftigt schon lange das Thema Unfälle zwischen Schienenfahrzeugen und Fußgängern. Leider geraten dabei die Fußgänger oft unter die Straßenbahn und werden schwer verletzt.

Ließen sich die Verletzungen nicht deutlich verringern, wenn die Straßenbahn vorne eine Art Räumschild hätte, so wie bei einem Schneepflug? Wenn es dann zu einem Unfall kommt, wird der Fußgänger lediglich vor der Straßenbahn hergeschoben und vielleicht auch zur Seite abgedrängt. Die Verletzungen wären sicher deutlich geringer.

Natürlich braucht auch eine Straßenbahn eine gewisse Bodenfreiheit. Ich habe mir das so vorgestellt, dass der "Räumschild" per Knopfdruck durch den Fahrzeugführer abgesenkt werden kann. Der Schild fällt praktisch auf die Straße und schrammt über die Gleise bzw. die Straße. Schneepflug-Räumschilder haben unten gefederte Klappen; bei einem Aufprall auf ein Hindernis können diese Klappen nach hinten/oben ausweichen. Man könnte das Räumschild automatisch bei einer Vollbremsung auslösen.

Ist so ein beweglicher Schild schon mal realisiert worden? Warum wird das nicht in alle Straßenbahnen eingebaut? Ich konnte mit google nichts finden zu dem Thema.

Schönen Gruß!
Wilson

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Sithis
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Sithis »

Gab es früher schon mal bei den "hochbeinigeren" älteren Wagen. Da war ein schneepflugähnliches Blech vor den Rädern.

Inzwischen gibt es ja auch sowas wie Knautschzonen, glaube ich.

Das beste Mittel gegen Unfälle ist aber nach wie vor Aufmerksamkeit. Wenn irgendwelche Leute meinen, daß die StVo nicht für sie gilt und daß Ampeln, Überwege und Übergangsverbotsschilder nur zur Zierde da sind, sind sie doch selber schuld.
Zynismus ist der geglückte Versuch, die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. - Jean Genet

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koneggS
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von koneggS »

Hallo,
ein Räumschild, welches während der Notbremsung ausgeköst wird, ist absoluter Quatsch, denn je nach Reaktionszeit des Fahrers (Ja, er ist ein Mensch) kann die Notbremsung so spät erfolgen, dass das Schild den Fußgänger beim Herunterlassen regelrecht zerquetscht. Das war mir als erster Gedanke in den Sinn gekommen. Außerdem passieren die meisten Unfälle mit Fußgängern in Zentralhaltestellen. Das Schutzschild würde also, davon ausgehend, dass es rechtzeitig zum Einsatz kommt, den Fußgänger an die Betonbahnsteigkante, die ja zumindest an den Zentralhaltestellen fast überall vorhanden ist, einklemmen/zerquetschen. Ich sehe da also keinen großen Sinn.

Wilson
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Wilson »

Ja, es kann passieren, dass das Schild beim Ablassen auf den Unfallgegner trifft. Das Schild muss aber nicht schwer sein, kann aus Kunststoff gefertigt werden. Es muss nur so stabil sein, dass der verunfallte Fußgänger nicht unter die Tram geraten kann. Ich denke, dass sich damit die Schwere der Verletzungen trotzdem verringern ließe. Man müsste so ein Ding in Zusammenarbeit mit den Tramfahrern entwickeln und testen.

In unserer Stadt gibt es an den Haltestellen maximal einen Randstein. Man kann den Schild ja auch plan machen, sodass kein seitliches Abdrängen erfolgt. Da gibt es eine Menge zu bedenken, zu konstruieren und zu testen. Man kann das nicht so einfach in einer Minute überblicken und abhandeln.

Im übrigen wird eine Straßenbahn nach einem Unfall auch schneller wieder flott, wenn der bedauernswerte Fußgänger nicht erst unter der Straßenbahn herausgeholt werden muss - womöglich unter Einsatz eines Wagenhebers. Auch Fahrräder können nicht mehr unter das Fahrzeug geraten und sich dort festklemmen.

Also ausprobiert hat es offenbar noch niemand.

Gruß! Wilson

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M73
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von M73 »

Die Idee an sich ist nicht ganz neu.
Bereits die A-Wagen (Baujahr 1901) in München hatten Fangeinrichtungen an den Triebwägen. Jedoch kam es trotz dem immer wieder zu groben Verletzungen.

Problem ist, daß nur eine permanente Einrichtung mit 1-2 Millimeter über der Schiene
einen wirkungsvollen Schutz darstellen würde. Um diesen Abstand technisch zu realisieren(Trambahnen fahren ja auch an Steigungen oder "Bucklbrücken" ect.), müßte ein solcher Schutz unmittelbar vor einer Achse sein. Zudem fahren Straßenbahnen auch auf der Straße und hätten bei einem Spiel von 2-3 mm sicherlich mit Fahrbahnunebenheiten zu kämpfen.

Die Achse befindet sich jedoch weit hinter dem Fahrzeuganfang -> also würde bei so einem Schutz eine eventuelle Person bereist unter dem Fahrzeug liegen.
Einen Schutz am Fahrzeuganfang auf die 1-2 Millimeter zu bekommen schränkt entweder den Betrieb ein oder müßte aufwendig dem Heben und Senken des Wagenkastens bei Steigungsanfängen/-Enden angepaßt werden.
z.B. ein Stützrad am "Menschenfang" hätte größte Probleme bei Kurven.
Auch würde so ein Schutz nicht verhindern, daß z.B. eventuelle Kinderhände oder Finger abgetrennt würden.
Auch könnte gerade bei Kurvenfahrten oder Gerangel an Haltestellen Personen nach dem Schutz, aber vor der Achse - also von der Seite her unter das Fahrzeug gelangen.

Trambahnen fahren bis zu 60 km/h; selbst wenn der Fahrer schnell Reagiert, sind Aufprallgeschwindigkeiten von über 15 km/h realistisch. Ein "Menschenräumschild" hätte bestimmt üble Schürfwunden und Quetschungen zur folge, möglicher weise auch Schädelfrakturen.

Ich gehe davon aus, daß sich sicher bereits einige kluge Köpfe damit auseinander gesetzt haben. Nur findet man eben 200.000 Jahre Menschheitsgeschichte nicht unbedingt lückenlos im I-Net. Solche "Nebensächlichkeiten sind nicht unbedingt dokumentiert; besonders wenn es eh unrealisierbar ist.

Ein Schutz, der als Optimum aus all diesen Gesichtspunkten herauskommt, würde meiner Ansicht nach lediglich das Verletzungsbild verändern, aber kaum etwas Nennenswertes bringen.

Es wäre allerdings Wünschenswert, wenn jemand diese Quadratur des Kreises schaffen würde.
Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch .
(Karl Valentin, Münchner Volksschauspieler und Humorist)

Wilson
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Wilson »

Erstmal Danke für den fundierten und ausführlichen Beitrag!
M73 hat geschrieben:Problem ist, daß nur eine permanente Einrichtung mit 1-2 Millimeter über der Schiene einen wirkungsvollen Schutz darstellen würde.
Man müsste da einen Kompromiss machen. Der Schutzschild hat die Aufgabe, die Schwere der Verletzungen zu reduzieren. Wenn der Schild einen gewissen Abstand zur Straße aufweist, dann kann eine Hand oder ein Arm unter den Schild geraten und (schwer) verletzt werden. Aber das ist immer noch besser, als überrollt und getötet zu werden.
M73 hat geschrieben:z.B. ein Stützrad am "Menschenfang" hätte größte Probleme bei Kurven.
Man könnte den Schild an eine Laufachse montieren, die wie ein geschobener Anhänger schienengeführt unter dem Bug der Straßenbahn vor dem Drehgestell hergeschoben wird. Ich sehe da keine Probleme.
M73 hat geschrieben:Auch würde so ein Schutz nicht verhindern, daß z.B. eventuelle Kinderhände oder Finger abgetrennt würden. Auch könnte gerade bei Kurvenfahrten oder Gerangel an Haltestellen Personen nach dem Schutz, aber vor der Achse - also von der Seite her unter das Fahrzeug gelangen.
Alles kann man nicht absichern. Es geht (mir) nur darum, die Sicherheit zu verbessern.
M73 hat geschrieben:Trambahnen fahren bis zu 60 km/h; selbst wenn der Fahrer schnell Reagiert, sind Aufprallgeschwindigkeiten von über 15 km/h realistisch. Ein "Menschenräumschild" hätte bestimmt üble Schürfwunden und Quetschungen zur folge, möglicher weise auch Schädelfrakturen.
Ja klar. Aber ist Überrollen besser?
M73 hat geschrieben:Ich gehe davon aus, daß sich sicher bereits einige kluge Köpfe damit auseinander gesetzt haben.
Und ich habe sogar etwas gefunden. Zitat: "Ein Überrollschutz (Fender) schützt allfällige, unter das Tram geratene Personen vor einem Überrollen.". Die haben einfach die Front weit heruntergezogen und mit etwas Glück gerät das Opfer nicht mehr unter die Straßenbahn. Mein Idee wäre eine Erweiterung und Verbesserung des Konzepts - egal, ob fest oder absenkbar.

Möglicherweise sind solche Unfälle mit Überrollen nicht häufig genug. Oft wird der Fußgänger zur Seite geschleudert, erleidet zwar auch schwere Verletzungen, wird aber nicht überrollt und getötet. Und weil das Überrollen nicht so häufig vorkommt, besteht kein Entwicklungsdruck.

Schönen Gruß!
Wilson

Manitou
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Manitou »

Früher hatten Straßenbahnen Fangkörbe, die durch einen Auslösetaster von einem Hindernis selbst ausgelöst wurden. Ab ca. 1960 wurde die BO Strab in der DDR so geändert, daß Neubauwagen nur noch Bahnräumer brauchten. Ältere Wagen wurden umgebaut.

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365
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von 365 »

Aufgrund der Seltenheit solch schwerer Unfälle rechtfertigt das Kosten/Nutzen-Verhältnis den zu betreibenden Aufwand für "Rettungsschilde" nicht.

Des weiteren besteht das Unfallrisiko durch den vermehrten Einsatz an Niederflurfahrzeugen nicht mehr im Überrollen, sondern im seitlichen Einklemmen an den Haltstelleninseln.

Eine reale Möglichkeit, den Opfern schneller zu helfen, wäre zu prüfen, ob man bei Neufahrzeugen zumindest die vordere Zugeinheit mit seriellen Hydraulikhebern ausstattet, damit Rettungskräfte den Zug schneller anheben können.

deroberlaender
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von deroberlaender »

Im Tages_anzeiger vom 13.06.09
Du hast keine ausreichende Berechtigung, um die Dateianhänge dieses Beitrags anzusehen.

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Sithis
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Sithis »

Ähm, nichts für ungut, aber da braucht man ja ne Lupe zum Lesen...
Zynismus ist der geglückte Versuch, die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. - Jean Genet

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M73
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von M73 »

Eine Lupe hilft da a nix. Wird blos unscharf...
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bim
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von bim »

Manitou hat geschrieben:Früher hatten Straßenbahnen Fangkörbe, die durch einen Auslösetaster von einem Hindernis selbst ausgelöst wurden. Ab ca. 1960 wurde die BO Strab in der DDR so geändert, daß Neubauwagen nur noch Bahnräumer brauchten. Ältere Wagen wurden umgebaut.
Stimmt so nicht.
Die DDR BOStrab von 1959 erlaubte den Verzicht auf die seitlichen Verkleidungen der Fahrwerke, seit dem T59 ließ der WB Gotha dann auch die seitlichen Holzbretter weg. Fangkörbe waren eigentlich Pflicht, wenn die Fahrzeugkonstruktion das erlaubte.
So wurden die T2-62, T4-62 und G4-61 des WB Gotha bis zur Produktionseinstellung 1967 stets mit Taster und Fangkorb ausgeliefert.
Die nächste BOStrab 1969 trug dann der Realität Rechnung, dass die Gleiszustände schlechter und die Fangkörbe oft beschädigt wurden, bei Schneefall im Winter waren die Dinger immer Auslöser für Störungen bis zur Betriebseinstellung ... Der einzige Lieferant CKD/Tatra Prag dachte auch nicht daran, dem T3/T4 (wie früher am T1) Fangvorrichtungen zu spendieren, die hatte er (sicher mit Ausnahmegenehmigung der Bahnaufsicht) schon 1967/68 am T2D eingespart.
Damit war der Fangkorb nicht verboten, durfte aber ohne weiteres durch Abweiser (Bahnräumer) ersetzt werden. Davon machten denn auch die meisten DDR-Betriebe und das RAW Schöneweide bei GR der Gothawagen gern Gebrauch.
So long

Mario

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Möckern-Peter
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Re: Fußgängerschutz (Idee)

Beitrag von Möckern-Peter »

Eine weitere Ursache für den Verzicht auf sog. FANGKÖRBE mit TASTBRETTERN war auch die Geschwindigkeitszunahme der Fahrzeuge, wo ähnlich der bereits genannten Reaktionszeit eines Fahrers die Sicherheitseinrichtung auch erst reagiert und zum Einsatz kommt, wenn die Person schon vor dem Fahrwerk liegt. In der Tat waren vorhersehbare Quetschungen als zusätzliche Verletzungen der Hauptgrund, diese Einrichtungen nach Bewährung in Jahrzehnten des Niedriggeschwindigkeitsbereiches letztlich nicht mehr vorzusehen.
Ein Bahnräumer, Schneebrett, Abweiser (die Bezeichnungen meinen alle dasselbe) ist hingegen Pflicht am Fahrzeug.

Interessant auch die Lösung aus der Zeit um 1900, als einige Betriebe Frontwandgitter installierten, die ebenfalls Personen wegschieben sollten. Durchgesetzt hat es sich bekanntllich nicht.
Wenn alle Betriebe nur T6/KT4(t)/KT8 verwenden würden, wäre die Welt eintöniger. Schöner wäre sie trotzdem!

Zazní-li výstraha, opust'te dverní prostor!

Kava je balzam za srce in duso. (slowen.: Kaffee ist Balsam für Herz und Seele) Giuseppe Verdi
Gustav Mahler ergänzte: Hier ist es wunderherrlich und repariert ganz sicher Leib und Seele.

Prosimo se med voznju ne pogovarjete z voznikom!

Kein Sarkasmus liegt mir völlig fern :-)

Der frühe Vogel kann mich mal... (am Abend treffen - was sonst!)

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