TRANSLOHR - tramway on tires

Diskussionen über straßenbahnähnliche Systeme wie O-Bus und GLT-Fahrzeuge
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Incentro
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TRANSLOHR - tramway on tires

Beitrag von Incentro »

Nachdem ich vor ein paar Tagen den GLT/TVR von Bombardier vorgestellt und diskutiert habe, ist heute der TRANSLOHR der Firma LOHR fällig:

TRANSLOHR
Die Firma LOHR griff die Idee des GLT-Systems auf und veränderte es in einigen Punkten. So wurde der Fahrbahn mehr Beachtung geschenkt.

Die Fahrzeuge
Der TRANSLOHR - auch als "tramway on tires" (Straßenbahn auf Reifen) bezeichnet - ist wie der TVR in Caen permanent per Mittelschiene spurgeführt. Diese unterscheidet sich jedoch in ihrer Form von der des TVR, so dass beide System nicht kompatibel sind:
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Des weiteren sind die Räder des Translohr (wie beim Wiener ULF) in den Gelenkportalen untergebracht, was sowohl die Hüllkurve des Fahrzeugs optimiert als auch eine flexiblere Innenraumgestaltung zulässt. Dadurch sind die Fahrzeuge in verschiedenen Längen konfigurierbar. Die bis heute bestellten und gebauten Fahrzeuge sind STE3 und STE4 (Länge: 25m bzw. 32m). Bei Bedarf sind diese auch in Traktion einsetzbar! Alle TRANSLOHR sind als ZR-Fahrzeuge konzipiert. Auf Wunsch wären sie auch als ER-Fahrzeuge lieferbar.

Die Einsatzorte
Bislang haben sich vier europäische Städte für den TRANSLOHR entschieden:
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Clermont-Ferrand [Frankreich] setzt 22 STE4 ein.
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Padua [Italien] setzt 14 STE3 ein.
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L'Aquila [Italien] hat 10 STE3 bestellt.
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Venedig [Italien] hat 14 STE4 bestellt.

Außerdem gibt es eine Teststrecke in Osaka [Japan] und ein TRANSLOHR-Testlinie in Tianjin [China] mit 8 Fahrzeugen.

Erfahrungen aus dem Betrieb
Obwohl der Hersteller in seiner Werbebröschüre verspricht "There is no possibility of derailment, even under very poor conditions of adhesion." (Es gibt keine Entgleisungsmöglichkeit, selbst bei sehr schlechter Bodenhaftung) kam es in Clermont-Ferrand und Padua zu Entgleisungen.
Daraufhin wurde der TRANSLOHR mit einem "Gleisräumer" ausgestattet, der Dreck aus der Schiene entfernen und bei einem Hindernis eine Notbremsung einleiten soll. Außerdem beklagen Anwohner und Betreiber die Geräuschentwicklung der Spurführung bei höheren Geschwindigkeiten.

Meine Meinung
Gegenüber Bombardier hat LOHR seine Hausaufgaben gemacht. Fahrweg, Spurführung und Achsanordnung der Fahrzeuge sind optimiert worden. Leider wurden bei der Flexibilität Abstriche gemacht, dass das Fahrzeuge ausschließlich spurgeführt verkehren kann, womit ein Vorteil gegenüber der klassischen Straßenbahn verloren geht. Die im Werbeprospekt erwähnten Vorteile der "tramway on tires" - adhesion, silence, recyclability, lightweight drive, accurate trajectory, flexible loadbearing capacity, braking performance (Bodenhaftung, Geräuschlosigkeit, Wiederverwertbarkeit, leichter Antrieb, genauer Bewegungsablauf, flexible Beladung, Bremsweg) - sind nur teilweise Argumente die gegenüber einer klassischen Straßenbahn gelten können. Die Bessere Bodenhaftung (und dadurch bessere Steigungsfähigkeit) und der kürzere Bremsweg sind die einzigen Vorteile, die ich im Reifen-Fahrweg-System gegenüber dem Rad-Schiene-System gelten lassen kann. Alle anderen Argumente treffen auf die klassische Straßenbahn ebenfalls zu.

Chris

jakob
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Re: TRANSLOHR - tramway on tires

Beitrag von jakob »

Kosten.
Entscheidend für die Vorteile eines Systems sind die Kosten für den Fahrweg, die Kosten für die Fahrzeuge, die Kosten für den Unterhalt.
Der Fahrweg ist wesentlich billiger als für Eisenstrassenbahn, die Fahrzeuge kosten ähnlich viel wie strassenbahnen - sind relativ teuer pro Quadratmeter , im Verhältnis zu anderem ÖPNV, da die Stückzahlen bei beiden Systemen extrem niedrig sind,

Betriebskosten: Die Gummiräder sind sehr viel billiger als Eisenräder, da ein Massenprodukt (grosser Vorteil). Gummiräder wesentlich leiser, der Lärm der Führungsschiene wird noch gesenkt werden. Die schienen müssen nicht geschliffen werden. Die Personalkosten im Betrieb werden sich kaum unterscheiden.
Gruss Jakob
Gruss Jakob

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Incentro
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Re: TRANSLOHR - tramway on tires

Beitrag von Incentro »

Hallo,

der Kostenfaktor war DAS Argument des Herstellers schlechthin, weshalb die Betriebe doch einen Translohr und keine "richtige" Straßenbahn bauen sollten.

Die Realität sieht leider anders aus: Entweder man spart wirklich am Fahrweg und legt in eine vorhanden Straße nur die Spurführung, so leidet der Fahrkomfort erheblich. Gestaltet man jedoch mit der Einführung des neuen Systems ganze Straßenzüge um - baut also komplett neue Fahrwege, so ist der Fahrkomfort besser als bei einem Bus. Dann hat man jedoch so viel Geld in den Fahrweg investiert, dass man auch gleich richtige Gleise hätte verlegen können.

Die Fahrzeuge sind Einzelanfertigungen - wenn in ca. 20 Jahren ein Nachfolger benötigt wird, steht man wieder bei Translohr auf der Kundenliste anstatt bei einer Ausschreibung ein möglicherweise günstigeres Fahrzeug bekommen zu können. Dass auch Straßenbahen nur Kleinserien sind, liegt an den Betrieben die mit ihren Sonderwünschen ein Unikat kaufen, um sich vom Rest der Welt abzuheben.

Zum Thema, dass die Schienen nicht geschliffen werden müssen: Bei der richtigen Straßenbahn schleift man die Schienen um die Geräuschentwicklung zu minimieren. Gleiches gilt also für die Translohr-Schiene. Diese bedarf außerdem einer wesentlich penibleren Reinigung.

Chris

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Incentro
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TRANSLOHR in Padova

Beitrag von Incentro »

Hallo,
in meinem Urlaub hatte ich in Padua erstmals die Gelegenheit einen TRANSLOHR aus der Nähe zu sehen und auch damit zu fahren. Zugegeben, vom Design her ist es mehr eine Straßenbahn denn ein Bus, da kommt maximal der Irisbus Cristalis Obus ran (s. Obus Mailand).
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Es gibt entlang der Strecke verschiedene Bodenbeläge: normale Asphaltstraße in die nur die Spurführungsschiene eingelassen wurde, eigene Trassen (ebenfalls asphaltiert, jedoch neu für den LOHR gebaut) und in einigen Altstadtstraßen und über Plätze auch eine gepflasterte Fahrbahn mit großen Steinen entlang der Laufflächen der Räder.
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So ist dann auch das Fahrverhalten mit dem eines Busses vergleichbar, lediglich das Verhalten in Gleiswechseln ist straßenbahn- und nicht bustypisch.
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Meine Meinung (aus dem Ursprungsbeitrag) hat sich nicht geändert, man hätte hier für weniger Geld einen Obus einrichten können oder sich für eine richtige Straßenbahn entscheiden sollen. In Padua sind keine nennenswerten Höhenunterschiede zu überwinden, so dass die bessere Bodenhaftung von Rummireifen keine Rolle spielt.

Chris

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