Woltersdorf

Übersicht über die Straßenbahnbetriebe in Deutschland
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Sithis
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Woltersdorf

Beitrag von Sithis »

Ich möchte hiermit den Betrieb in Woltersdorf vorstellen. Die meisten dürften ihn schon kennen(und das auch in echt), aber der Komplettheit soll genüge getan werden.

Woltersdorf ist eine Gemeinde am östlichen Stadtrand von Berlin. Zwei Stationen liegen im Berliner Gebiet. Woltersdorfs bedeutendste Sehenswürdigkeit ist wohl die Schleuse, an der auch einer der Endpunkte der Straßenbahn liegt.
Der andere Endpunkt der Strecke ist der S-Bahnhof Rahnsdorf, welcher heute von der S3 bedient wird. Der Fahrplan der Straßenbahn richtet sich nach der S-Bahn aus. Die Liniennummer ist im VBB-Schema 87. Es gibt einen Haustarif, allerdings liegt die Bahn im Bereich C von Berlin (ABC-Tarifzonen), daher sind dort auch Fahrkarten der BVG und S-Bahn gültig. Ohnehin empfiehlt es sich, eine Tageskarte für 6,30 € zu kaufen, damit man Berlin und Umgebung gut erkunden kann.

Eröffnet wurde die Straßenbahn im Jahre 1913. Markanterweise in Normalspur, denn die benachbarte Schöneicher-Rüdersdorfer Straßenbahn verkehrt in Meterspur.
Die Strecke ist etwa 5,6km lang und bis heute unverändert geblieben. Zehn Haltestellen werden bedient, die Fahrzeit beträgt ca. 15 Minuten. Der Sinn und Zweck der Straßenbahn war und ist es, zum einen die Anwohner mit der Berliner S-Bahn zu verbinden, andererseits wiederum die erholungssuchenden Berliner in den Ort zu bringen.

Woltersdorf war und ist ein Betrieb, der ausschließlich Zweirichtungswagen einsetzt. Es gab nie eine Wendeschleife, die wird es wohl auch niemals geben. An vielen Haltestellen wird auch links eingestiegen. Die Strecke ist größtenteils eingleisig, es gibt unterwegs einige Ausweichen.

1913 erhielt man zur Eröffnung mehrere zweiachsige Triebwagen von Orenstein und Koppel. Davon ist noch heute einer erhalten. Welcher Betrieb kann das schon von sich behaupten, einen seiner ersten Triebwagen behalten zu haben? Wohl nur die wenigsten.

In den folgenden Jahren erhielt man weitere Wagen, u.A. befindet sich daher auch der KSW-Prototyp mit Beiwagen in Woltersdorf. Bis 1996 war dieser Wagen in einem schönem Braun unterwegs, heute ist er wieder beige.

Ab Ende der 70er bis in die 80er konnte man den Wagenpark, der aus Vorkriegswagen bestand durch Gothawagen erneuern, die gebraucht aus Dessau, Schwerin und Dresden kamen. Zwar kamen auch Rekowagen von der BVG in den Betrieb, diese erfreuten sicher aber aus bekannten Gründen geringer Beliebtheit(Fahrkomfort, Gleisverschleiß).

Die Wende überlebte die Woltersdorfer Straßenbahn zum Glück besser als z.B. Naumburg. Einige der Gothawagen wurden aufwendig beim MGB modernisiert, so erhielten sie neue Türantriebe mit Türöffnern, einen statischen Umformer und LED-Anzeigen für die Liniennummer.

Seit 2005 wird auf Beiwagenbetrieb verzichtet. Dafür verkehrt in der HVZ ein zusätzlicher Triebwagen zum Berliner Platz.

Die Streckenlage ist teils ein wenig riskant. Gerade heute beim stärkeren Autoverkehr ist Obacht geboten, da die Bahn oft im Gegenverkehr fährt und oft die Seiten wechselt. Zum Glück blieben größere Unfälle bisher aus.

Bemerkenswert ist auch der Bestand historischer Wagen. Zum einen wäre dies der eingangs erwähnte Wagen von 1913 mit passendem Beiwagen. Zum anderen der KSW-Prototyp, ebenso mit Beiwagen. Besonders Aufsehen erregte aber der Dauergast aus Berlin, der 2008 zum 95-jährigen Jubiläum fertig restauriert vorgestellt wurde: Der Maximum-Triebwagen 2990 von 1910.

Als Arbeitswagen dient ein ehemaliger Reko-ATZ der BVG.

Fotostellen gibt es einige - insgesamt ist die Strecke relativ fotofreundlich. Wer sie besucht, sollte natürlich unbedingt Bilder von den Endstellen machen, auch der Bahnübergang im Wald kurz nach dem S-Bahnhof bietet sich sehr gut an. Am Thälmannplatz kann man die Wagen auch vor einem Denkmal aus sozialistischen Zeiten ablichten. Dort findet sich auch der Betriebshof, auf dem man ebenso einige Wagen sichten kann. Führungen müssen vorab angemeldet werden.

Fassen wir also zusammen, was die Woltersdorfer Straßenbahn so besonders macht:
- sie verwendet als einziger Betrieb in Deutschland Gothawagen im normalen Linienverkehr. Nun mag jemand auf Naumburg oder die Kirnitzschtalbahn verweisen, jedoch haben diese Bahnen eher touristischen Charakter, hingegen wird die Woltersdorfer Straßenbahn auch "normal" genutzt, was man leider auch am Vandalismus in einigen Wagen sieht
- es gibt eine historische Flotte mit einem Wagen aus der Anfangszeit der Bahn und einem wichtigen Prototypen, die auch mal den Linienverkehr übernimmt. Man kann davon ausgehen, daß jedes Jahr im Juli oder zu anderen Zeiten Fahrten stattfinden

Übrigens nimmt man auch gerne Spenden an - nachdem ich gespendet hatte, erhielt ich einige Zeit später einen Dankesbrief mit Kugelschreiber und Postkarten ;-) . Es lohnt sich also, z.B. bei Online-Banking die Anschrift mit anzugeben.

Zur Veranschaulichung einige Bilder:

Einer der Linientriebwagen, man beachte auch die Straßenführung.

Bild

Der Tw Nr. 2 von 1913.

Bild

Der KSW.

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Der Maximum-Triebwagen Nr. 2990.

Bild

Hier der Arbeitswagen.

Bild

Zu guter Letzt noch der S-Bahnhof Rahnsdorf mit einer etwas merkwürdigen Gestaltung ;-) .
rahnsdorf.jpg
Für alle, die bewegte Bilder sehen wollen, hier zwei Videos von einer Fahrt zwischen Schleuse und Rahnsdorf in zwei Teilen:



Ebenso verweise ich auf die vorbildlich gestaltete Seite der Bahn:
http://www.woltersdorfer-strassenbahn.de/
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Sithis
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Re: Woltersdorf

Beitrag von Sithis »

Übrigens...wer gerne von sich sagen möchte, drei Betriebe an einem Tag gesehen zu haben, und dann auch noch im Grünen, dem empfehle ich folgende Tour:

Mit der S3 bis Friedrichshagen fahren. Dort steigt man in die 88 (Schöneiche-Rüdersdorfer Straßenbahn) um und dreht eine Runde. Anschließend geht es zurück zum S-Bahnhof Friedrichshagen. Dort steigt man in die 61 der BVG und fährt zu Rahnsdorf Waldschänke. Dort steigt man in den Bus der Linie 161 und fährt zum S-Bahnhof Rahnsdorf zur Woltersdorfer Straßenbahn.

Trifft man auf der 88 einen GT6 an, kann man sogar sagen, an einem Tag in den Fahrzeugen der wichtigsten Straßenbahnhersteller(CKD Prag, DÜWAG, VEB Gotha) gesessen zu haben. Die Linie 161 wird übrigens von MB0405 bedient, meisten sogar noch in beige, was die Fans dieses Busses freuen dürfte.
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Insulaner70
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Lückenschluss in Rahnsdorf möglich?

Beitrag von Insulaner70 »

Auch wenn mich die Fans lynchen würden. Wäre es nicht sinnvoller einen nicht mal einen Kilometer langen Lückenschluss zwischen Rahnsdorf/Waldschänke (BVG-Linie 61) und dem Beginn der Woltersdorfer Straßenbahn am S-Bahnhof Rahnsdorf herzustellen? Damit würde eine durchgehende Linie Adlershof – Wolterdorf entstehen. Bei aller Liebe zu alten Fahrzeugen, aber ich finde die Triebwagen auf der Woltersdorfer Straßenbahn, zumindest im Alltagseinsatz, nicht gerade sehr zeitgemäß. Auf der „verlängerten“ Linie 61 müssten dann zwar GTN6-ZR eingesetzt werden, aber der Fahrkomfort würde sich deutlich erhöhen. Die Woltersdorfer Straßenbahn könnte ja formell selbständig bleiben und auch Fahrpersonale für die Linie 61 stellen. Gab es denn für so einen Lückenschluss schon mal Pläne?

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koneggS
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Re: Woltersdorf

Beitrag von koneggS »

Erstmal willkommen im Forum!

Pläne gab es, rein theoretisch kein so großer Akt, die Trassierung dürfte auch relativ unproblematisch sein.

Nun zu den Problemen:

1. Probleme beimn Fahrzeugeinsatz
Die Woltersdorfer Straßenbahn weist zwischen Thälmanplatz und Schleuse einige steile, außerdem noch in Steigungen und Gefälle liegende Kurven auf. Ich glaube kaum, dass da die GT6N-Zweirichter durchkommen. Eine Beseitigung dieser Engstellen ist praktisch nicht möglich.

2. Der Bedarf
Die Hauptaufgabe der Woltersdorfer Straßenbahn besteht darin, die Woltersdorfer zur S-Bahn zu bringen, welche sie zu ihren Arbeitsplätzen in Berlin bringt, bzw. die Berliner von der S-Bahn zur Schleuse zu bringen. Ich sehe überhaupt keinen Sinn darin, die Linie von Adlershof bis Woltersdorf durchzubinden. Die Strecke zwischen Friedrichshagen und Rahnsdorf-Waldschänke ist außerhalb der Ausflugs-/Badesaison äußerst mäßig ausgelastet,k ich würde sogar meinen, dass es hier außerhalb der Saison auch ein Bus (Kein Gelenkbus) täte. Ich bin bereits von Friedrichshagen mit der Straßenbahn zur Waldschänke gefahren, um dort mit dem Bus zum S-Bahnhof zu fahren, wo es mit der Woltersdorfer Straßenbahn weiterging, die Anschlussbedingungen waren ausgezeichnet (Überganszeit jeweils ca. 2 Minuten).
In der BVG-Bahn (Damals noch ein T6A2-Doppel) waren vielleicht 6 Fahrgäste (Es war Schulzeit und HVZ), im Bus befanden sich 3 Fahrgäste, von denen ich der einzige war, der vorher die Straßenbahn nutzte. In Rahnsdorf wurde ebenfalls eher zur S-Bahn umgestiegen, keiner der beiden wollte nach Woltersdorf ;-)
Die Auslastung der 87 war überraschend gut, damals verkehrten auch noch Beiwagen. Ich bekam keinen Sitzplatz und musste bis etwa Berliner Platz stehen.
Selbst wenn man von Woltersdorf nach Friedrichshagen/Köpenick muss, ist man mit der S-Bahn wesentlich schneller.

3. Betriebsablauf/Finanzielle Mittel (Davon ausgehend, dass Bedarf da wäre und geeignete Fahrzeuge existieren)

Die Straßenbahn Adlershof-Waldschänke wird von der BVG betrieben, die 87 bekanntlich von der WS. Personal dürfte weniger das Problem sein, das wechselt einfach beim Wechsel zwischen BVG- und WS-Strecke.
Bei den Fahrzeugen ebenfalls nicht, da wird nach Streckenanteil auch der jeweils passende Fahrzeuganteil gestellt.
Doch wie sieht das mit den Finanzen aus? Die Strecke führt durch 2 Gemeinden (und sogar Bundesländer), wie teilt man die Zuschüsse auf, also wie legt man fest, wie viel Woltersdorf und vie viel Berlin zu zahlen hat, vor allem wer bekommt wie viel? Mit den aktuellen Mitteln dürfte man kaum hinkommen. Wer soll außerdem die neue Strecke zahlen? Sie würde auf Berliner Gebiet liegen, d.h. Brandenburg/Woltersdorf würden darauf pochen, dass Berlin diese zahlt. Berlin pocht allerdings darauf, dass diese Strecke vor allem Nutzen für Brandenburg/Woltersdorf bringt. Also wer zahlt?


:arrow: Es macht also in der Praxis wenig Sinn, diese Verbindung zu realisieren, sonst wäre dies auch schon längst geschehen. Das wirklich ausschlaggebende Problem sehe ich in den Fahrgastzahlen. Es muss niemand von den Woltersdorfern nach Rahnsdorf zur Waldschänke, und wenn sie weiter Richtung Friedrichshagen/Köpenick müssen, sind sie mit der S-Bahn schneller.

Und zu den Fahrzeugen: Warum Niederflurwagen bzw. andere Fahrzeuge? Die Gothas sind zwar nicht mehr taufrisch, allerdings fast komplett in den letzten Jahren aufgearbeitet, also halbwegs neuwertig. Sie haben keine anspruchsvollen Dienste mehr, außerdem stehen genug Fahrzeuge zur Verfügung, dass keine hohen Kilometerzahlen mehr geschrubbt werden müssen. (Bin grad auf maximal 240 Kilometer für die Einsatzzeit von morgens 4 Uhr bis abends 23 Uhr gekommen, HVZ-Verstärker und 2. Kurs entsprechend weniger, Fahrzeuge anderer Betriebe fahren täglich im Normalfall 600-700 Kilometer).
Die Fahrzeuge verbringen also einen recht entspannten "Lebensabend", sofern in den nächsten Jahren überhaupt eine Ablösung kommen sollte ;-)
Durch die Mordernisierung sind die Fahrzeueg auch im Innenraum etwas aufgefrischt, und auch von den Fahreigenschaften sind sie als 2-Achser deutlich den GT6N der BVG überlegen.
Dadurch, dass man an den Wochenenden und Ferientagen vor allem Berliner Ausflügler befördert, sehe ich auch einen gewissen Sinn, diese Fahrzeuge praktisch auch mit als Anziehungspunkt einzusetzen. Habe auch schon erlebt, dass Berliner bis Rahnsdorf mit dem Auto fahren und dann in die Straßenbahn steigen, um einen weiteren Höhepunkt zu haben. Und nein, das waren keine Straßenbahnfans. Zwar macht dieses Verhalten unterm Strich wenig Sinn, aber es unterstützt die WS immerhin im harten Überlebenskampf. Ist doch toll, wenn man mal mit der Straßenbahn seiner Kindheit fahren kann (Ich gehe mal davon aus, dass ein normaler Mensch Reko- und Gothawagen nicht unterscheiden kann).

Letztendlich finde ich, dass es momentan gut ist wie es ist. Die Verbindung braucht kein Mensch und der Fahrzeugeinsatz hat auch seine Berechtigung. Die Woltersdorfer Straßenbahn hat ihre Chancen und ihr Potential richtig erkannt und umgesetzt. Einzig bedauernswert finde ich den Wegfall des Beiwagenbetriebes, an schönen Sommerwochenenden wäre er wünschenswert.

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Sithis
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Re: Woltersdorf

Beitrag von Sithis »

*denstrickhol* :mrgreen:

Nein, ich denke, den Ausführungen kann man schon zustimmen. Eine Verbindung wäre machbar, aber unnötig.
Zudem hat die Woltersdorfer Straßenbahn ja durchaus den Nimbus einer Nostalgiebahn, da wären GT6N nicht angebracht.

Zudem sollte man bedenken, daß deren Einsatz große Anpassungen im Woltersdorfer Netz notwendig machen würde, die Ausweiche müßte erneuert werden, die Bahnsteige verlängert etc.
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fahrmidda13
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Re: Woltersdorf

Beitrag von fahrmidda13 »

Sehe ich auch so, zumal ich die Woltersdorfer Straßenbahn bisher immer positiv erlebt habe, mit Mitarbeitern, die aus den gegebenen Umständen mit großem Engagement ein Maximum an Kundenfreundlichkeit herausholen. Es darf bezweifelt werden, ob sich diese Qualität unter BVG-Regie halten würde. Die bei der BVG üblichen Einsparungsmaßnahmen jedenfalls bekämen der "Woltersdorfer" jedenfalls sicherlich nicht unbedingt.

Zudem erfüllt die Woltersdorfer Straßenbahn alle an sie gestellten Aufgaben, d.h. den Zubringerverkehr zur Berliner S-Bahn einerseits und die Attraktion als Ausflugsbahn andererseits, bisher ohne Probleme. Von den Einwohnern Woltersdorfs wird sie nach meinen Eindrücken ebefalls sehr positiv angenommen.
Daher sehe ich zur Zeit keinen Veränderungsbedarf.
Bild

Zwei Fuzzies stehen auf einer Signalbrücke.
"Weißt du", sagt der eine, "wenn ich hier oben stehe und den Zug knipse, fällt irgendwie alles von mir ab."
"Schön" sagt der andere. "Hauptsache, es fällt mir nicht in die Fotolinie."

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