Darmstadt
Verfasst: 16.04.2008 15:00
Durch die alte südhessische Residenzstadt fuhr erstmals am 30. August 1886 eine Straßenbahn von Darmstadt in den Vorort Griesheim. Als Besonderheit handelte es sich hierbei um eine Dampfbahn, die von einem Eisenbahnkonsortium aus dem Berliner Eisenbahnunternehmer Herrmann Bachstein und der Bank für Handel und Gewerbe in Darmstadt betrieben wurde.
Auch auf allen später gebauten Strecken fuhr die Straßenbahn unter Dampf, eine Pferdestraßenbahn hat es in Darmstadt nie gegeben.
Nachdem das sich das Konsortium an der Gründung der Süddeutschen Eisenbahngesellschaft (SEG) beteiligt hatte, strebte diese eine Elektrifizierung des Netzes an. Diesem Bestreben schob die Stadt Darmstadt zunächst einen Riegel vor, da diese eigens den Bau und Betrieb einer elektrischen Straßenbahn im Stadtgebiet, in Kunkurrenz zur SEG, beabsichtigte. Es folgten heftige Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und der SEG, die im Ergebnis dazu führten, daß die Städtische Straßenbahn auf einigen Innenstadtstrecken elektrisch fuhr, während auf teilweise parallel dazu liegenden Gleisen die SEG ihre Dampfbahnen in die Vororte fahren ließ.
Dieses Chaos löste sich erst 1912 mit der Gründung der HEAG (damals noch "Hessische Eisenbahn-Aktiengesellschaft) auf, die beide Netze nebst rollendem Material übernahm und die Elektrifizierung aller Strecken vorantrieb. Trotzdem konnte vor dem ersten Weltkrieg nur die Strecke in den (damals noch nicht eingemeindeten) Vorort Eberstadt elektrifiziert werden. Die Strecken nach Griesheim und Arheilgen wurden weiterhin unter Dampf befahren und konnten erst nach 1918 auf elektrischen Betrieb umgestellt werden. Der letzte Dampfzug beendete schließlich am 31.03.1922 seinen Dienst.
In der sogenannten "Brandnacht" vom 10. zum 11. September 1944 wurde die Darmstädter Innenstadt bei einem groß angelegten Bombenangriff nahezu vollständig zerstört, sodaß nach dem Krieg auch eine fast völlige Rekonstruktion des Straßenbahnnetzes erforderlich war. Die Streckenführung entsprach im Wesentlichen allerdings der des Vorkriegsnetzes, neue Strecken waren zunächst nicht geplant.
Nach den KSW kamen 1954 Verbandstyp-Zweiachser von Rathgeber in München nach Darmstadt, deren letzte Vertreter bis 1991 im Dienst stehen sollten. Darmstadt war somit der letzte alt-bundedeutsche Betrieb, der noch Zweiachser einsetzte.
Da die HEAG ihr Hauptgeschäft inzwischn in der Stromversorgung hatte, benannte sie sich in "Hessische Elektrizitäts-AG" um. Der öffentliche Nahverkehr wurde fortan von der Tochter "HEAG Verkehrs-GmbH" betrieben.
Erstaunlich ist aus heutiger Sicht, daß der eher kleine Betrieb von der Stillegungswelle in den 60er und 70er Jahren verschont blieb. Böse Zungen behaupten hierzu, Darmstadt habe nur deshalb heute noch eine Straßenbahn, weil man schlichtweg vergessen habe, sie einzustellen. Zwar wurden zwischen 1960 und 1970 einige Strecken auf Busbetrieb umgestellt, ganz verschwunden ist die Straßenbahn aber nie. Die Beschaffung neuer, für damalige Verhältnisse recht moderner Wagen und der Bau der Überlandstrecke entlang der Hessischen Bergstraße von Eberstadt über Seeheim-Jugenheim nach Alsbach stellten ab Mitte der 70er Jahre die Weichen in Richtung Zukunft.
Eine Kuriosität besonderer Art ist die Strecke der alten Linie 9 (später Linie 4) vom Schloß zum Ostbahnhof: sie wurde am 11. Oktober 1986 "vorübergehend" außer Betrieb gesetzt - bis zum heutigen Tag. Inzwischen ist die Oberleitung fast komplett abgebaut, die Schienen sind teilweise zugeteert und im Rahmen einer Gleissanierung wurden 2004 auch die Anschlußweichen ausgebaut.
Ab den neunziger Jahren zog wieder ein frischer Wind durch das Verkehrsmittel. Mit der Anschaffung zehn achtachsiger (Hochflur-) Neufahrzeuge konnten die letzten Zweiachser 1991 abgestellt werden.
Im gleichen Jahr startete die HEAG das Projekt "Schnelle 6", das nach Möglichkeiten zur Beschleungung des innerstädtischen Straßenbahnverkehrs suchen sollte. Dabei wurde der bis dahin eher unscheinbaren Pendlerlinie 6 zwischen Eberstadt und Firma Merck eine bedeutende Rolle zugedacht. Als mit orangenem Linienschild besonders gekennzeichnete Schnellinie hält sie nur noch an wichtigen Haltestellen an und erhält an Ampelkreuzungen Vorrang. Zusätzlich entfällt der Fahrscheinverkauf durch den Fahrer. Die Umstellung brachte eine Reisezeitverkürzung von sieben Minuten. Aufgrund des Erfolges blieb die 6 als Schnellinie bis heute erhalten. Weniger erfolgreich war die 1993 nachgekommene Schnellinie 10, die auf ihrem gesamten Weg von Griesheim zum Böllenfalltor exakt der Linie 9 folgte und damit keine nennenswerte Beschleunigung brachte. Bereits 1997 wurde sie wieder eingestellt.
Inzwischen sind die wesentlichen Beschleunigungsfaktoren "Vorrang an Ampelkreuzungen" und "Kein Fahrscheinverkauf durch den Fahrer" auf allen Straßenbahnlinien realisiert und konnten eine deutliche Steigerung der mittleren Reisegeschwindigkeit bewirken.
1994 begann dann auch bei der Darmstädter Straßenbahn das Niederflurzeitalter, allerdings als weitere Besonderheit zunächst in Form von Beiwagen, die hinter den hochflurigen Gelenkwagen aller Generationen zum Einsatz kamen. Die Fachwelt belächelte diese Lösung zunächst, staunte dann aber nicht schlecht, als nach der Anleiferung 20 neuer Niederflurtriebwagen im Jahr 1998 die Darmstädter Straßenbahn plötzlich im Regelfall auf jedem Kurs ein Niederflurangebot bieten konnte.
Mitte der 90er Jahre konkretisierten sich auch Pläne für eine Neubaustrecke zur Anbindung des erst 1968 gegründeten Stadtteils Neu-Kranichstein. Obwohl damit eine deutliche Verlagerung des Modal Split zugunsten des ÖPNV zu erwarten war und die Notwendigkeit zum Bau der Strecke durch endlos lange Buskolonnen in der Früh-HVZ jedem offensichtlich werden mußte, stießen diese Pläne völlig unerwartet auf teilweise erbitterten Widerstand in der Kranichsteiner Bevölkerung. Die eigens dafür gegründete "Bürgerinitiative Pro Bus für Kranichstein" versuchte mit Händen und Füßen sowie teilweise haarsträubenden Argumenten (u.a. die Straßenbahn verursache für die direkten Anlieger von Halestellen eine größere Lärmbelästigung (als der Dieselbus) oder durch Metallabrieb und Bremssand würde durch die Straßenbahn die Feinstaubbelastung (gegenüber dem Dieselbus) deutlich ansteigen), den Bau der Strecke zu verhindern - ohne Erfolg, denn im Dezember 2003 rotllen sozusagen als "Weihnachtsgeschenk" die ersten Straßenbahnen über die erste nach dem Krieg völlig neu gebaute Strecke nach Kranichstein. Ganz umsonst waren die Bemühungen der "BI Pro Bus" aber nicht, immerhin erreichte sie, daß sich der altgeliebte H-Bus noch alle halbe Stunde (Während der Spitzenzeit!) nach Kranichstein verirrt, während ihm sonst mit der direkten Anbindung eines großen Seniorenheims heute eine weit sinnvollere Rolle zukommt.
Heute betreibt das inzwischen in "HEAG Mobilo GmbH" umbenannte Verkehrsunternehmen mit Seinem Geschäftsbereich Straßenbahn ("HEAG MobiTram", in Abgrenzung zum Geschäftsbereich "HEAG MobiBus") auf einer Linienlänge von 77km (Streckenlänge 36km) einen kleinen aber feinen Straßenbahnbetrieb auf Meterspur. Zum Einsatz kommen 48 Triebwagen, unter denen nur noch 10 Hochflurwagen sind und 30 Niederflurbeiwagen. Auf zwei Strecken verläßt die Straßenbah das Darmstädter Stadtgebiet und bindet, wie seit jeher, den inzwischen zur Kleinstadt gereiften Vorort Griesheim sowie die abgelegenen Ortschaften Seeheim-Jugenheim und Alsbach direkt und mit hoher Geschwindigkeit an die Darmstädter Innenstadt an. In zwei Betriebshöfen werden die Wagen durchaus ordentlich gepflegt.
Die vermeintlich große Zahl von neun Linien täuscht, da die Linien 6 und 7 nur verkürzte Varianten der Linie 8 sind und zudem die Linien 1, 2 und 4 reine Verbindungslinien darstellen, die nur an Schultagen in Erscheinung treten und keine eigenen Streckenabschnitte befahren. So bleiben letztendlich vier Linien übrig.
Für eine sichere Zukunft wird zur Zeit die Strecke in Arheilgen (erneut gegen den Widerstand einiger Anwohner) zweigleisig ausgebaut und bis an den Stadtrand verlängert. Eine Streckenverlängerung in Alsbach um eine Haltestelle zur direkten Anbindung der Melibokusschule wird noch dieses Jahr beginnen.
Weiterhin gibt es konkrete Planungen für eine Neubaustrecke in die Nachbarstadt Weiterstadt, die im weiteren Verlauf auch die DörferSchneppenhausen und Braunshardt mit einem Straßenbahnanschluß versorgen könnte. Damit würde die Straßenbahn ein drittes Mal über Darmstadts Grenzen hinauswachsen. Da auch gegen dieses - noch nicht planfestgestellte - Bauvorhaben mehrere Klagen anhängig sind, bleibt abzuwarten, ob und wann die Pendler mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren können und nicht mehr die Bundesstraße 42 verstopfen müssen.
Nur grobe Plaunungen gibt es dagegen bisher für den Bau einer (dann vierten) Überlandstrecke nach Roßdorf. Ebenfalls gibt es wage Überlegungen, die Strecke zum Ostbahnhof zu "reaktivieren", was allerdings de facto einen Neubau der Strecke bedeuten würde.
Als besonderer Leckerbissen ist seit 1997 an jedem zweiten Sommerwochenende auch wieder ein historischer Dampfzug unterwegs. Er wird von der "Arbeitsgemeinschaft Historische HEAG-Fahrzeuge" betrieben, die sich aus HEAG-Mitarbeitern und Vereinsmitgliedern des Eisenbahnmuseums Darmstadt Kranichstein zusammensetzt und sich neben den Dampfzugfahrten auch um die recht große, aber leider großteils auch noch recht traurig aussehende Sammlung historischer Straßenbahnwagen kümmert.
EDIT:
Ich hatte fast völlig vegessen, auf die Fahrzeuge einzugehen. Für alle Typen der elektrischen Straßenbahn gibt es in Darmstadt eine hauseigene Typenbezeichnung, die sich in ST (Straßenbahn-Triebwagen) und SB (-Beiwagen) aufteilt. Die dahinter stehende Zahl gibt die jeweilige Fahrzeuggeneration an.
Um den Beitrag nicht endlos in die Länge zu ziehen, beschränke ich mich mal auf die Nachkriegswagen.
ST5 und SB5 ist Darmstädterisch für KSW. Diese Wagen wurden 1948/49 geliefert, die Triebwagen von Fuchs in Heidelberg, die Beiwagen von der Waggonfabrik Uerdingen.
ST6 und SB6 sind die bekannten Verbandstyp-Zweiachser, die im Falle Darmstadts allesamt von Rathgeber in München gebaut wurden und ab 1954 zum Einsatz kamen. Vom gleichen Hersteller wurden 1964 noch einmal je vier Trieb- und Beiwagen aus Regensburg übernommen, die die Bezeichnung ST6' bzw. SB6' erhielten. Sowohl "originale Darmstädter" wie auch ex-Regensburger fuhren teilweise bis 1991 im Liniendienst.
ST7 sind die ersten Darmstädter Gelenkwagen, gebaut von DWM in (West-)Berlin. 12 dieser optisch an die Duewag GT6 angelehnten Sechsachser kamen 1961 nach Darmstadt. Ihnen folgte 1963 eine weitgehend baugleiche Serie von acht Wagen, ie die Typenbezeichnung ST8 erhielt. MIt Ausnahme des ST8 Nr. 96, der 1993 bei durch einen Batteriekurzschluß ausbrannte, prägten alle Wagen bis 1998 das Bild der Darmstädter Straßenbahn. Drei ST7 (25, 26, 31) werden noch heute als Betriebsreserve vorgehalten, dabei ist Nr. 25 als Museumswagen designiert.
1964 kamen 12 Großraum-Beiwagen nach Darmstadt, die hinter den ST7 und ST8 zum Einsatz kamen. Sie sind die einzigen Wagen, die die Duewag für Darmstadt baute. Nach Ankunft der neuen Niederflurbeiwagen schieden sie 1994/95 aus dem Plandienst aus.
Die 1969 aus Remscheid übernommenen vierachsigen Gelenkwagen bekamen in Darmstadt die Bezeichnung ST9. Ihre außergewöhnliche Konstruktion und das daraus resultierende, höchst eigenwillige Fahrverhalten machte sie schnell zu unbeliebten Außenseitern. Trotzdem standen - mit einer unfallbedingten Ausnahme - alle Wagen bis 1991 in Dienst.
Mit den ST10, gebaut 1976/77 von der Waggon-Union in (West-)Berlin, wurde eine neue Wagenform eingeführt, die 30 Jahre lang eine prägende Rolle im Stadtbild haben sollte. Neu an diesen Wagen war für die Darmstädter Straßenbahn die Ausstattung mit Polstersitzen, zwei Scheinwerfern und einer halbautomatischen Geamatic-Steuerung. Bis 2007 waren alle Wagen im Liniendienst unterwegs.
1982 begann mit den ST11 das bis heute andauernde Zeitalter der dreiteiligen Achtachser. Die Serie von nur sechs Wagen war optisch die lange Version der ST10. Technisch unterschieden sie sich allerdings durch die neue Chopper-Steuerung und einige kleinere Details, wie zum Beispiel das kompakte, arg aufs Wesentliche konzentrierte Fahrpult. Bis Ende 2007 mußten sie im harten Alltagseinsatz ranhalten.
Zur Kapzitätserhöhung wurden 1987 acht Duewag-Beiwagen aus Bielefeld übernommen. Sie erhielten die Typenbezeichnung SB8 und unterschieden sich von den ST7 durch die Ausstattung mit Polstersitzen, eine andere Formgebung und die Wagenbreite von nur 2,20m. Ihr letztes Stündlein schlug ebenfalls 1994.
Die 1991 gelieferten zehn Wagen vom Typ ST12 sind de facto baugleich mit den ST11. Sie sind allesamt noch im Einsatzbestand.
Neue Beiwagen vom Typ SB9 waren der Auftakt ins Niederflurzeitalter. Mit 30 Exemplaren lieferte LHB 1994/95 die größte Serie eines Wagentyps, die je nach Darmstadt kam.
Dazu gesellten sich mit den ST13 die passenden Niederflur-Triebwagen, die LHB 1998 in einer Serie von 20 Stück an die HEAG.
Ihnen folgte 2007 eine optisch aufgepeppte Serie von 18 Fahrzeugen, nunmehr von Alstom. Neu ist neben der zweifellos angenehmeren Optik auch der klimatisierte Fahrgastraum. Die neusten Darmstädter Straßenbahnwagen tragen den Namen ST14.
Auch auf allen später gebauten Strecken fuhr die Straßenbahn unter Dampf, eine Pferdestraßenbahn hat es in Darmstadt nie gegeben.
Nachdem das sich das Konsortium an der Gründung der Süddeutschen Eisenbahngesellschaft (SEG) beteiligt hatte, strebte diese eine Elektrifizierung des Netzes an. Diesem Bestreben schob die Stadt Darmstadt zunächst einen Riegel vor, da diese eigens den Bau und Betrieb einer elektrischen Straßenbahn im Stadtgebiet, in Kunkurrenz zur SEG, beabsichtigte. Es folgten heftige Auseinandersetzungen zwischen der Stadt und der SEG, die im Ergebnis dazu führten, daß die Städtische Straßenbahn auf einigen Innenstadtstrecken elektrisch fuhr, während auf teilweise parallel dazu liegenden Gleisen die SEG ihre Dampfbahnen in die Vororte fahren ließ.
Dieses Chaos löste sich erst 1912 mit der Gründung der HEAG (damals noch "Hessische Eisenbahn-Aktiengesellschaft) auf, die beide Netze nebst rollendem Material übernahm und die Elektrifizierung aller Strecken vorantrieb. Trotzdem konnte vor dem ersten Weltkrieg nur die Strecke in den (damals noch nicht eingemeindeten) Vorort Eberstadt elektrifiziert werden. Die Strecken nach Griesheim und Arheilgen wurden weiterhin unter Dampf befahren und konnten erst nach 1918 auf elektrischen Betrieb umgestellt werden. Der letzte Dampfzug beendete schließlich am 31.03.1922 seinen Dienst.
In der sogenannten "Brandnacht" vom 10. zum 11. September 1944 wurde die Darmstädter Innenstadt bei einem groß angelegten Bombenangriff nahezu vollständig zerstört, sodaß nach dem Krieg auch eine fast völlige Rekonstruktion des Straßenbahnnetzes erforderlich war. Die Streckenführung entsprach im Wesentlichen allerdings der des Vorkriegsnetzes, neue Strecken waren zunächst nicht geplant.
Nach den KSW kamen 1954 Verbandstyp-Zweiachser von Rathgeber in München nach Darmstadt, deren letzte Vertreter bis 1991 im Dienst stehen sollten. Darmstadt war somit der letzte alt-bundedeutsche Betrieb, der noch Zweiachser einsetzte.
Da die HEAG ihr Hauptgeschäft inzwischn in der Stromversorgung hatte, benannte sie sich in "Hessische Elektrizitäts-AG" um. Der öffentliche Nahverkehr wurde fortan von der Tochter "HEAG Verkehrs-GmbH" betrieben.
Erstaunlich ist aus heutiger Sicht, daß der eher kleine Betrieb von der Stillegungswelle in den 60er und 70er Jahren verschont blieb. Böse Zungen behaupten hierzu, Darmstadt habe nur deshalb heute noch eine Straßenbahn, weil man schlichtweg vergessen habe, sie einzustellen. Zwar wurden zwischen 1960 und 1970 einige Strecken auf Busbetrieb umgestellt, ganz verschwunden ist die Straßenbahn aber nie. Die Beschaffung neuer, für damalige Verhältnisse recht moderner Wagen und der Bau der Überlandstrecke entlang der Hessischen Bergstraße von Eberstadt über Seeheim-Jugenheim nach Alsbach stellten ab Mitte der 70er Jahre die Weichen in Richtung Zukunft.
Eine Kuriosität besonderer Art ist die Strecke der alten Linie 9 (später Linie 4) vom Schloß zum Ostbahnhof: sie wurde am 11. Oktober 1986 "vorübergehend" außer Betrieb gesetzt - bis zum heutigen Tag. Inzwischen ist die Oberleitung fast komplett abgebaut, die Schienen sind teilweise zugeteert und im Rahmen einer Gleissanierung wurden 2004 auch die Anschlußweichen ausgebaut.
Ab den neunziger Jahren zog wieder ein frischer Wind durch das Verkehrsmittel. Mit der Anschaffung zehn achtachsiger (Hochflur-) Neufahrzeuge konnten die letzten Zweiachser 1991 abgestellt werden.
Im gleichen Jahr startete die HEAG das Projekt "Schnelle 6", das nach Möglichkeiten zur Beschleungung des innerstädtischen Straßenbahnverkehrs suchen sollte. Dabei wurde der bis dahin eher unscheinbaren Pendlerlinie 6 zwischen Eberstadt und Firma Merck eine bedeutende Rolle zugedacht. Als mit orangenem Linienschild besonders gekennzeichnete Schnellinie hält sie nur noch an wichtigen Haltestellen an und erhält an Ampelkreuzungen Vorrang. Zusätzlich entfällt der Fahrscheinverkauf durch den Fahrer. Die Umstellung brachte eine Reisezeitverkürzung von sieben Minuten. Aufgrund des Erfolges blieb die 6 als Schnellinie bis heute erhalten. Weniger erfolgreich war die 1993 nachgekommene Schnellinie 10, die auf ihrem gesamten Weg von Griesheim zum Böllenfalltor exakt der Linie 9 folgte und damit keine nennenswerte Beschleunigung brachte. Bereits 1997 wurde sie wieder eingestellt.
Inzwischen sind die wesentlichen Beschleunigungsfaktoren "Vorrang an Ampelkreuzungen" und "Kein Fahrscheinverkauf durch den Fahrer" auf allen Straßenbahnlinien realisiert und konnten eine deutliche Steigerung der mittleren Reisegeschwindigkeit bewirken.
1994 begann dann auch bei der Darmstädter Straßenbahn das Niederflurzeitalter, allerdings als weitere Besonderheit zunächst in Form von Beiwagen, die hinter den hochflurigen Gelenkwagen aller Generationen zum Einsatz kamen. Die Fachwelt belächelte diese Lösung zunächst, staunte dann aber nicht schlecht, als nach der Anleiferung 20 neuer Niederflurtriebwagen im Jahr 1998 die Darmstädter Straßenbahn plötzlich im Regelfall auf jedem Kurs ein Niederflurangebot bieten konnte.
Mitte der 90er Jahre konkretisierten sich auch Pläne für eine Neubaustrecke zur Anbindung des erst 1968 gegründeten Stadtteils Neu-Kranichstein. Obwohl damit eine deutliche Verlagerung des Modal Split zugunsten des ÖPNV zu erwarten war und die Notwendigkeit zum Bau der Strecke durch endlos lange Buskolonnen in der Früh-HVZ jedem offensichtlich werden mußte, stießen diese Pläne völlig unerwartet auf teilweise erbitterten Widerstand in der Kranichsteiner Bevölkerung. Die eigens dafür gegründete "Bürgerinitiative Pro Bus für Kranichstein" versuchte mit Händen und Füßen sowie teilweise haarsträubenden Argumenten (u.a. die Straßenbahn verursache für die direkten Anlieger von Halestellen eine größere Lärmbelästigung (als der Dieselbus) oder durch Metallabrieb und Bremssand würde durch die Straßenbahn die Feinstaubbelastung (gegenüber dem Dieselbus) deutlich ansteigen), den Bau der Strecke zu verhindern - ohne Erfolg, denn im Dezember 2003 rotllen sozusagen als "Weihnachtsgeschenk" die ersten Straßenbahnen über die erste nach dem Krieg völlig neu gebaute Strecke nach Kranichstein. Ganz umsonst waren die Bemühungen der "BI Pro Bus" aber nicht, immerhin erreichte sie, daß sich der altgeliebte H-Bus noch alle halbe Stunde (Während der Spitzenzeit!) nach Kranichstein verirrt, während ihm sonst mit der direkten Anbindung eines großen Seniorenheims heute eine weit sinnvollere Rolle zukommt.
Heute betreibt das inzwischen in "HEAG Mobilo GmbH" umbenannte Verkehrsunternehmen mit Seinem Geschäftsbereich Straßenbahn ("HEAG MobiTram", in Abgrenzung zum Geschäftsbereich "HEAG MobiBus") auf einer Linienlänge von 77km (Streckenlänge 36km) einen kleinen aber feinen Straßenbahnbetrieb auf Meterspur. Zum Einsatz kommen 48 Triebwagen, unter denen nur noch 10 Hochflurwagen sind und 30 Niederflurbeiwagen. Auf zwei Strecken verläßt die Straßenbah das Darmstädter Stadtgebiet und bindet, wie seit jeher, den inzwischen zur Kleinstadt gereiften Vorort Griesheim sowie die abgelegenen Ortschaften Seeheim-Jugenheim und Alsbach direkt und mit hoher Geschwindigkeit an die Darmstädter Innenstadt an. In zwei Betriebshöfen werden die Wagen durchaus ordentlich gepflegt.
Die vermeintlich große Zahl von neun Linien täuscht, da die Linien 6 und 7 nur verkürzte Varianten der Linie 8 sind und zudem die Linien 1, 2 und 4 reine Verbindungslinien darstellen, die nur an Schultagen in Erscheinung treten und keine eigenen Streckenabschnitte befahren. So bleiben letztendlich vier Linien übrig.
Für eine sichere Zukunft wird zur Zeit die Strecke in Arheilgen (erneut gegen den Widerstand einiger Anwohner) zweigleisig ausgebaut und bis an den Stadtrand verlängert. Eine Streckenverlängerung in Alsbach um eine Haltestelle zur direkten Anbindung der Melibokusschule wird noch dieses Jahr beginnen.
Weiterhin gibt es konkrete Planungen für eine Neubaustrecke in die Nachbarstadt Weiterstadt, die im weiteren Verlauf auch die DörferSchneppenhausen und Braunshardt mit einem Straßenbahnanschluß versorgen könnte. Damit würde die Straßenbahn ein drittes Mal über Darmstadts Grenzen hinauswachsen. Da auch gegen dieses - noch nicht planfestgestellte - Bauvorhaben mehrere Klagen anhängig sind, bleibt abzuwarten, ob und wann die Pendler mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren können und nicht mehr die Bundesstraße 42 verstopfen müssen.
Nur grobe Plaunungen gibt es dagegen bisher für den Bau einer (dann vierten) Überlandstrecke nach Roßdorf. Ebenfalls gibt es wage Überlegungen, die Strecke zum Ostbahnhof zu "reaktivieren", was allerdings de facto einen Neubau der Strecke bedeuten würde.
Als besonderer Leckerbissen ist seit 1997 an jedem zweiten Sommerwochenende auch wieder ein historischer Dampfzug unterwegs. Er wird von der "Arbeitsgemeinschaft Historische HEAG-Fahrzeuge" betrieben, die sich aus HEAG-Mitarbeitern und Vereinsmitgliedern des Eisenbahnmuseums Darmstadt Kranichstein zusammensetzt und sich neben den Dampfzugfahrten auch um die recht große, aber leider großteils auch noch recht traurig aussehende Sammlung historischer Straßenbahnwagen kümmert.
EDIT:
Ich hatte fast völlig vegessen, auf die Fahrzeuge einzugehen. Für alle Typen der elektrischen Straßenbahn gibt es in Darmstadt eine hauseigene Typenbezeichnung, die sich in ST (Straßenbahn-Triebwagen) und SB (-Beiwagen) aufteilt. Die dahinter stehende Zahl gibt die jeweilige Fahrzeuggeneration an.
Um den Beitrag nicht endlos in die Länge zu ziehen, beschränke ich mich mal auf die Nachkriegswagen.
ST5 und SB5 ist Darmstädterisch für KSW. Diese Wagen wurden 1948/49 geliefert, die Triebwagen von Fuchs in Heidelberg, die Beiwagen von der Waggonfabrik Uerdingen.
ST6 und SB6 sind die bekannten Verbandstyp-Zweiachser, die im Falle Darmstadts allesamt von Rathgeber in München gebaut wurden und ab 1954 zum Einsatz kamen. Vom gleichen Hersteller wurden 1964 noch einmal je vier Trieb- und Beiwagen aus Regensburg übernommen, die die Bezeichnung ST6' bzw. SB6' erhielten. Sowohl "originale Darmstädter" wie auch ex-Regensburger fuhren teilweise bis 1991 im Liniendienst.
ST7 sind die ersten Darmstädter Gelenkwagen, gebaut von DWM in (West-)Berlin. 12 dieser optisch an die Duewag GT6 angelehnten Sechsachser kamen 1961 nach Darmstadt. Ihnen folgte 1963 eine weitgehend baugleiche Serie von acht Wagen, ie die Typenbezeichnung ST8 erhielt. MIt Ausnahme des ST8 Nr. 96, der 1993 bei durch einen Batteriekurzschluß ausbrannte, prägten alle Wagen bis 1998 das Bild der Darmstädter Straßenbahn. Drei ST7 (25, 26, 31) werden noch heute als Betriebsreserve vorgehalten, dabei ist Nr. 25 als Museumswagen designiert.
1964 kamen 12 Großraum-Beiwagen nach Darmstadt, die hinter den ST7 und ST8 zum Einsatz kamen. Sie sind die einzigen Wagen, die die Duewag für Darmstadt baute. Nach Ankunft der neuen Niederflurbeiwagen schieden sie 1994/95 aus dem Plandienst aus.
Die 1969 aus Remscheid übernommenen vierachsigen Gelenkwagen bekamen in Darmstadt die Bezeichnung ST9. Ihre außergewöhnliche Konstruktion und das daraus resultierende, höchst eigenwillige Fahrverhalten machte sie schnell zu unbeliebten Außenseitern. Trotzdem standen - mit einer unfallbedingten Ausnahme - alle Wagen bis 1991 in Dienst.
Mit den ST10, gebaut 1976/77 von der Waggon-Union in (West-)Berlin, wurde eine neue Wagenform eingeführt, die 30 Jahre lang eine prägende Rolle im Stadtbild haben sollte. Neu an diesen Wagen war für die Darmstädter Straßenbahn die Ausstattung mit Polstersitzen, zwei Scheinwerfern und einer halbautomatischen Geamatic-Steuerung. Bis 2007 waren alle Wagen im Liniendienst unterwegs.
1982 begann mit den ST11 das bis heute andauernde Zeitalter der dreiteiligen Achtachser. Die Serie von nur sechs Wagen war optisch die lange Version der ST10. Technisch unterschieden sie sich allerdings durch die neue Chopper-Steuerung und einige kleinere Details, wie zum Beispiel das kompakte, arg aufs Wesentliche konzentrierte Fahrpult. Bis Ende 2007 mußten sie im harten Alltagseinsatz ranhalten.
Zur Kapzitätserhöhung wurden 1987 acht Duewag-Beiwagen aus Bielefeld übernommen. Sie erhielten die Typenbezeichnung SB8 und unterschieden sich von den ST7 durch die Ausstattung mit Polstersitzen, eine andere Formgebung und die Wagenbreite von nur 2,20m. Ihr letztes Stündlein schlug ebenfalls 1994.
Die 1991 gelieferten zehn Wagen vom Typ ST12 sind de facto baugleich mit den ST11. Sie sind allesamt noch im Einsatzbestand.
Neue Beiwagen vom Typ SB9 waren der Auftakt ins Niederflurzeitalter. Mit 30 Exemplaren lieferte LHB 1994/95 die größte Serie eines Wagentyps, die je nach Darmstadt kam.
Dazu gesellten sich mit den ST13 die passenden Niederflur-Triebwagen, die LHB 1998 in einer Serie von 20 Stück an die HEAG.
Ihnen folgte 2007 eine optisch aufgepeppte Serie von 18 Fahrzeugen, nunmehr von Alstom. Neu ist neben der zweifellos angenehmeren Optik auch der klimatisierte Fahrgastraum. Die neusten Darmstädter Straßenbahnwagen tragen den Namen ST14.